Von Designlampen und Schwalbenschwänzen

Beim Wettbewerb „Die Gute Form“ der Tischlerinnung des Kreises Kleve wählen Laien und Fachleute unter den besten Gesellenstücken ihre Favoriten. Bewertungskriterium: Würde man das Möbel in die eigene Wohnung stellen? Eine Reportage.

„Die Erleuchtung“ von Leo Grootens, der seine Ausbildung bei Holzbau van Aaken in Kevelaer absolviert hat.

„Die Erleuchtung“ von Leo Grootens, der seine Ausbildung bei Holzbau van Aaken in Kevelaer absolviert hat.

Möbel bewerten – als die Anfrage kommt, Teil der Jury für den Wettbewerb „Die Gute Form“ zu sein, bin ich skeptisch. Als Biologin mag ich Holz, aber mein handwerkliches Verständnis ist gering und hört bei Dübeln auf. Wie soll ich da die Gesellenstücke der diesjährigen Absolventinnen und Absolventen der Tischler-Innung im Kreis Kleve begutachten? Ich lasse mich dennoch darauf ein, weil ich aus den letzten Jahren weiß, dass unter den Gesellenstücken tolle Möbel dabei sind. Und so stehe ich an diesem heißen Donnerstagabend zusammen mit den anderen Jurymitgliedern, die überwiegend etwas mit dem Handwerk zu tun haben oder im Schulkontext tätig sind, ausgestattet mit Klemmbrett und Bleistift. Die Einweisung in die Jurytätigkeit fällt kurz aus: „Stellen Sie sich die Fragen: Würden Sie sich das Möbel in Ihre Wohnung stellen?“, sagt Obermeister Stefan Meyer. Die anschließende Erläuterung eines Bewertungsbogens übernimmt Lehrlingswart Hans Hendrix. Das hört sich machbar an.
Motiviert trete ich an das erste Möbelstück, ein Lowboard aus Eiche, betrachte es und sofort überkommt mich die Überforderung: Das Lowboard hat eine klassische Form mit zwei schwarz lackierten Türen und drei Schubkästen in der Mitte. Platz genug für sämtlichen Kram, den frau so im Wohnzimmer benötigt. Aber besonders ausgefallen erscheint das Möbel nicht. Worin liegt hier die Besonderheit, frage ich mich, und suche Hilfe in dem begleitenden Text, den der Erbauer oder die Erbauerin verfasst hat. Ich stolpere über das Fachvokabular: So seien die Türen „auf Gehrung angeschlagen“. Was soll das heißen und ist das überhaupt gut? Ich frage bei Ludger Stratenschulte, Bildungsgangleiter der Tischler am Berufskolleg Kleve, nach. Er zeigt mir, dass die Türkanten angeschrägt sind, was für Stabilität sorgt und optisch harmonischer wirkt. Aha, ein Qualitätsmerkmal. Für meine Bewertung spielt das aber trotzdem kaum eine Rolle. Das Lowboard ist praktisch, würde aber nicht den Weg in mein Wohnzimmer finden. Es folgt ein besonderes Stück, das mir auf Anhieb gefällt: eine rustikale Stele, die in der Mitte mit einer Stahlkonstruktion durch eine kugelförmige Designerlampe mit warmem Licht unterbrochen wird. Sofort sehe ich vor meinen Augen das Möbel in meinem Flur stehen. Der kleine Schubkasten wäre ideal für Schlüssel und Portemonnaie.  Die Bewertung erfolgt schnell: volle Punktzahl. Beim Betrachten der weiteren Möbel wird vor allem der eigene Geschmack deutlich: Die Stücke aus rustikaler, naturbelassener Eiche gefallen auf den ersten Blick; Fichte und Eichenfurnier in der Optik der preisbewussten Schränke der 90er Jahre wecken direkt Erinnerungen an eine viel zu kleine Studentenwohnung. Da helfen auch die durchaus modernen farblichen Akzente nicht. Doch das kann doch nicht meine Bewertungsgrundlage sein? Das wäre unfair.
Der Bewertungsbogen an meinem Klemmbrett führt drei Kriterien auf, für die jeweils bis zu zehn Punkte für jedes der 18 Stücke vergeben werden können: die Originalität der Idee, die Aktualität der Form und die Funktionalität. Ich bemühe mich, darauf stärker zu achten und finde durchaus größere Unterschiede. Es gibt „klassische“ Formen wie Sideboards oder Schreibtische, die wenig originell sind, aber durch besondere Funktionalität oder eine moderne Form glänzen. Genauso gibt es ausgefallene Stücke wie den „Shoetower“, deren Funktionalität sich zumindest mir nicht erschließt. Die Begleittexte der Gesellen bzw. der Gesellin, die das Stück hergestellt haben, helfen bei der Bewertung und erweitern den eigenen Horizont. Neben vielen technischen Details lernt man hier kuriose Fachbegriffe wie Schattenfugen oder Schwalbenschwänze kennen und erfährt gleichzeitig etwas Persönliches: Einige haben etwas für ihr eigenes Zuhause gestaltet, andere geben ihre Schwierigkeiten offen Preis und wenige sind so von sich überzeugt, dass sie „nichts anders machen würden“. Mir wird klar: Der Tischler-Beruf ist nicht nur ein Handwerk, sondern verlangt Kreativität und Innovation. Eigene Designs zu entwickeln und zu präsentieren, benötigt Mut und Selbstbewusstsein. Wie zum Beispiel auch für das vielleicht kurioseste Möbelstück des diesjährigen Wettbewerbs: das so benannte Phonomöbel. Hierbei handelt es sich um eine Kommode mit grünem Moosflies an den Fronten, die spezielle Schubkästen für einen Schallplattenspieler, Schallplatten und CDs bietet. CDs, frage ich mich, gibt es die überhaupt noch? Welcher junge Mensch braucht Platz für so was? Alles an dem Retro-Möbel erscheint mir skurril. Die funktionalen Details der Form, der Hinweis auf die Plattenliebe des Opas und die liebevolle Gestaltung mit der Top 20er Schlager-Charts der 90er Jahre mit dem Hit „Flugzeuge im Bauch“ von Oli P. holen mich dann aber doch ab. Irgendwie ist das Stück cool und das Design mutig. Hier hat jemand etwas Individuelles geschaffen, das wahrscheinlich niemand anderes in seine Wohnung stellen mag. Ich gebe dennoch hohe Punkte für die Idee und Funktionalität.
Nach 18 spannenden Möbelstücken, die ich begutachtet habe, ist meine Lust auf Holz geweckt. Meine Wohnung, die bisher im schlichten Grau eingerichtet ist, wird gedanklich schon neu eingerichtet – mit Designerlampe, einem der Schreibtische und einer Truhe aus der Ausstellung. Die jungen Tischlerinnen und Tischler haben es geschafft und mich von ihrem Handwerk überzeugt.

Text von Natascha Verbücheln, Fotos zur Verfügung gestellt von Kreishandwerkerschaft Kleve
Abteilung Technik 

Die Gute Form

Wettbewerb "Die Gute Form" rückt den Stellenwert der Gestaltung im Tischler- und Schreinerhandwerk ins Blickfeld. Exzellente Gesellenstücke werden hier auf Innungs-, Landes- und Bundesebene ausgezeichnet und einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.
Jury Die Jury besteht aus Laien und Fachkräften gleichermaßen. Bewertet wird nach objektiven und subjektiven Kriterien. Die handwerkliche Leistungseinschätzung der Gesellenstücke erfolgte bereits im Rahmen der Abschlussprüfungen der Ausbildung.
Gewinner In diesem Jahr hat der „Fantastische Bambustisch“ von Stella Lamers gewonnen. Filip Walczak vom Berufskolleg Kleve erreichte mit seinem hängenden Sideboard in Kirschbaum / schwarz den 2. Platz. Zwei Belobigungen gingen an Hauke van Elk und Lukas Fingerhut, die ebenfalls in Kleve die Berufsschule besucht haben. Zwei Belobigungen gingen an Hauke van Elk und Lukas Fingerhut, die ebenfalls in Kleve die Berufsschule besucht haben.
Innungsbeste Bei der offiziellen Lossprechung wurde der Klever Filip Walczak, welcher bei der Firma Winkels Interior Design Exhibition GmbH in Kleve ausgebildet wurde, als Innungsbester geehrt und ausgezeichnet. Walczak hat für sich bereits Zukunftspläne gemacht und wird bei der Firma Winkels in der Arbeitsvorbereitung als Geselle tätig sein. Ebenfalls für gute Leistungen wurde Peter Lintzen aus Goch vom Ausbildungsbetrieb Martin van Aaken aus Kevelaer ausgezeichnet.