Die vier Mädchen sitzen auf dem Boden und diskutieren: Sollte sich Hamid, der unter Panikattacken leidet, einem Lehrer anvertrauen? „Er muss etwas tun; solche Situationen können immer auftreten.“ „Vielleicht kann er eine E-Mail schreiben. Da kann er genau überlegen, was er sagen möchte.“ „Am besten spricht er mit einem Vertrauenslehrer, der Schulsozialarbeit oder mit Mitschülern; jemandem, bei dem er sich wohl fühlt.“ Die Schülerinnen des Beruflichen Gymnasiums für Gesundheit schreiben ihre Ideen auf das Plakat; ergänzen aber auch noch ein Seelentagebuch und Therapie. „Hamid kann nicht davor weglaufen. Er muss seine Situation reflektieren und sich Hilfe suchen“, sagt Merit. Genau um diese Erkenntnis – dass es in Ordnung ist, Hilfe anzunehmen, wenn die Seele nicht gesund ist – geht es beim Projekttag des Vereins Papillon, an den mehrere Klassen des Berufskollegs teilnehmen.
Bei der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ haben im vergangenen Jahr ein Viertel der befragten Jugendlichen angegeben, psychische Probleme zu haben. In dieser Lebensphase beginnen Essstörungen, Süchte, Depressionen oder Ängste so häufig wie in keinem anderen Lebensabschnitt. „Die Corona-Zeit hat dies noch einmal beschleunigt. Zudem wird der Druck in den Schulen immer größer“, weiß Nicole Ritter vom Verein Papillon, der das Schulprojekt "Aufmachen" im Kreis Kleve in Kooperation mit dem Verein „Irrsinnig Menschlich“ durchführt. Am Projekttag werden Schülerinnen und Schüler für das Thema sensibilisiert und Lösungsstrategien erarbeitet: "Es geht um eine Entstigmatisierung seelischer Erkrankungen und vor allem um die Stärkung der eigenen seelischen Gesundheit", erklärt Ritter.
Die Schülerinnen und Schüler werden mit Vorurteilen und Behauptungen zu psychischen Erkrankungen konfrontiert, zu denen sie über eine Positionierung im Raum Stellung nehmen sollen: Eine psychische Erkrankung ist nicht vollständig heilbar. Mit einer psychischen Erkrankung ist ein normaler Alltag nicht möglich. Man muss auf jeden Fall Medikamente nehmen. Wer psychisch erkrankt, ist selbst schuld. Über die Bewertung und Korrektur dieser Aussagenvermittelt Ritter auf spielerische Art ein Grundwissen über die Arten psychischer Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten. Sie betont mehrfach: „Es gibt ganz viele verschiedene Umstände, die theoretisch jeden von uns ereilen und krank machen können. Dafür muss man sich nicht schämen, aber man kann sich helfen lassen.“ Dass psychische Erkrankungen jeden treffen können, wird anschließend an einigen Beispielen von prominenten Personen deutlich gemacht. Im zweiten Teil des Projekttages haben sich die Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen mit Fallbeispielen auseinandergesetzt und Lösungsstrategien entwickelt. So haben sie Faktoren kennengelernt, die begünstigen, dass ein Mensch gesund bleibt: Optimismus, Akzeptanz, Lösungs- und Zukunftsorientierung zum Beispiel. In der Schule kann ein gutes Klassenklima und eine gute Stimmung positiv wirken. Aber auch Kleinigkeiten wie Musik, ein Spaziergang oder ein Eis können in einer akuten Stresssituation helfen. "Mit dem Projekt möchten wir die Schülerinnen und Schüler für das Thema psychische Gesundheit sensibilisieren. Es soll ein Raum gegeben werden, um über etwas zu sprechen, dass viele direkt oder indirekt betrifft, worüber jedoch ungern offen gesprochen wird", sagen Natalia Knaub und Elke Schlaghecken, Schulsozialarbeiterinnen am Berufskolleg Kleve.
Text und Foto von Natascha Verbücheln