Gegen das Vergessen

Die NS-Zeitzeugin Eva Weyl, hat über 300 Schülerinnen und Schülern von ihren Erlebnissen in der NS-Zeit und einem Lager in den Niederlanden berichtet. Ihr persönlicher Bericht bewegte; ihr Appell gegen Rassismus und für Courage motivierte.

So erklärt Weyl Rassismus in einem Bild und appelliert, jeden Menschen erst kennenzulernen, bevor man ein Urteil trifft.

So erklärt Weyl Rassismus in einem Bild und appelliert, jeden Menschen erst kennenzulernen, bevor man ein Urteil trifft.

Der Januar ist beladen mit Trauer und Gedenken an die NS-Zeit: die Machtergreifung Hitlers, die Pauschal-Verurteilung aller Juden, die Erinnerung an den Holocaust anlässlich des Befreiungstages des Konzentrationslagers Auschwitz. Für Eva Weyl gibt es im Januar ein weiteres Datum, das ihr Leben für immer prägt: Am 28. Januar 1942 kam die damals 6-Jährige mit ihrer jüdischen Familie ins Lager im niederländischen Westerbork. Über 100 000 Menschen sind von dort in ein Konzentrationslager deportiert und ermordet worden. Nur wenige überlebten – Weyl ist eine von ihnen.
Wie sie die Zeit im Lager erlebt hat und wie ihre Familie nur durch ganz viel Glück überlebte, hat die 87-jährige Weyl jetzt über 300 Schülerinnen und Schüler verschiedenster Bildungsgänge im Pädagogischen Zentrum erzählt. Ihr Bericht war ergreifend, schockierend, aber auch durchsetzt mit einer Prise Humor und vielen persönlichen Einblicken. „Wir fühlen uns sehr geehrt, dass Sie sich immer wieder auf den Weg machen und über Ihre Erlebnisse berichten. Denn wir müssen die dunkelste Geschichte kennen, damit wir an einer besseren Zukunft arbeiten können“, betonte Annette Vogt, stellvertretende Schulleiterin.
Die jüdische Familie Weyl stammt aus Deutschland: Der Großvater kämpfte im 1. Weltkrieg; die Eltern besaßen ein großes Warenhaus in der Klever Innenstadt (heute Galeria). „Plötzlich wurden wir ausgeschlossen vom Leben. Das war ein schreckliches Gefühl von Anfang an, als wir „nur“ gemobbt wurden. Mobbing war der Anfang des Bösen“, meint Weyl. Innerhalb weniger Monate veränderte sich die Stimmung, die Familie musste in die Niederlande flüchten und kam schließlich nur mit dem Nötigsten und ein paar versteckter Brillanten im Knopfloch von Weyls Wintermantel ins Durchgangslager nach Westerbork. „Ich hatte Angst, aber ich wurde gut beschützt. Meine Mutter sagte immer: Alles wird gut.“ Beklemmend ist die Schilderung der Scheinwelt, die in Westerbork erschaffen wurde, damit das nicht nur die kleine Eva Weyl glaubte: „Das Lager war ein großes Paradoxon: Es gab genug Essen, Arbeit, eine Schule, ein Krankenhaus, Ablenkung. Natürlich war es ein Gefängnis, aber die meisten ließen sich täuschen und waren skeptisch: Wieso sollte man hier so gut behandelt werden, wenn man 2000 Kilometer weiter östlich ermordet werden sollte? Das konnte man nicht glauben.“ Dennoch war die Angst ständig zugegen; nachts wurden tausend zufällig ausgeloste Personen aus ihren Baracken unter Geschrei geholt und mit dem Zug nach Osten transportiert worden – ins KZ Auschwitz. Zweimal stand die Familie Weyl auf der Liste. Zweimal entkamen sie nur durch Glück der Deportation. Dieses Glück gibt Weyl seit vielen Jahren zurück, indem sie sich als Zeitzeugin engagiert und zahlreiche Schulen besucht.
Nach ihrem Bericht konnten die Schülerinnen und Schüler Weyl noch Fragen stellen. Dabei ging es um die Unterrichtsinhalte in der Lagerschule, um die Gründe, warum gerade Juden gemobbt wurden, und um Möglichkeiten die Erinnerung auch in den kommenden Generationen aufrechtzuerhalten. „Im Jüdischen gibt es zwei Worte dafür: Erinnern und Hoffen. Wer sich erinnert, kann alles in Hoffnung enden lassen. Ich brauche euch und die Schulen, um die Geschichte lebendig zu halten“, betont Weyl. Schülersprecher Simon Tillemann bedankte sich im Namen der Schülerschaft bei Weyl: „Wir haben großen Respekt vor ihrer Mission und ihrem Engagement. Es ist so wichtig, dass wir von ihren Erlebnissen hören.“ 
Neben ihrem Zeitzeugenbericht hat Weyl vor allem aber auch einen Appell an die Schülerinnen und Schüler dabei: „Gebt euch Mühe, einen Menschen kennenzulernen, bevor ihr ihn beurteilt. Fragt euch: Ist das wirklich richtig? Steht füreinander ein“, wünscht sich Weyl, die als gutes Beispiel vorangeht: Als 15-Jährige stellt sie sich gegen ihren Vater, weil sie mit einem Jungen, Fritz, befreundet sein möchte, dessen Vater ein Nazi gewesen war. In den letzten Jahren trat sie mehrfach gemeinsam mit der Enkelin des Lagerkommandanten in Westerbork auf, der ihrer Familie so viel Leid und unzählige Menschen getäuscht und deportiert hat. „Was konnte mein Fritz, was kann die Enkelin für die Gräueltaten ihres Großvaters? Nichts.“ So einfach ist das.

Text und Fotos von Natascha Verbücheln